Informationen
OT:The Room
ca.79 Minuten
Belgien 2006
- Giles Daoust
- Caroline Veyt
- Philippe Résimont
- Pascal Duquenne
- u.a.
Story
Hinter den unscheinbaren Wänden eines typischen Eigenheims lebt eine Familie kurz vor dem Zerfall. Als die älteste Tochter Melinda (Caroline Veyt) eines Tages ein Kind von einem scheinbar unbekannten Vater erwartet, will sie die Familie verlassen, was vor allem ihren Bruder Alex (Pascal Duquenne) stark trifft. Alex ist von Geburt an mongoloid und sitzt seit einem tragischen Treppensturz auch noch im Rollstuhl. Melinda hat sich lange Zeit aufopferungsvoll um ihn gekümmert, da die Eltern jedwede Liebe für Alex vermissen lassen. Vater Max (Philippe Résimont) ist ein erfolgloser Musiker, der all seinen Frust über seine berufliche Unfähigkeit auf seine Familie entlädt und diese bereits seit Jahren schlägt und tyrannisiert. Die Mutter Marie (Françoise Mignon) ist angesichts des Scheiterns ihrer Familie verbittert und zieht es vor, die Brutalitäten ihres Mannes still über sich ergehen zu lassen.
Mit dem bevorstehenden Auszug Melinda’s erreicht die Problematik innerhalb der Familie ihren Höhepunkt. Genau da erscheint in dem Haus, am Ende eines langen Korridors, wie aus dem Nichts eine neue, mit seltsamen Buchstaben verzierte Tür. Der erste, der über die Schwelle tritt, ist der beste Freund des jüngsten Sohnes, der daraufhin mit einem markerschütternden Schrei spurlos verschwindet. Als auch den Sohn selbst dieses Schicksal ereilt, müssen die anderen feststellen, dass sich weder die Türe öffnen lässt, noch dass sie in der Lage sind, das Haus zu verlassen. Die Fenster sind plötzlich verriegelt und halten selbst Axthieben stand. Auf engstem Raum sind Melinda, Alex, Marie und Max nun gezwungen, sich ihren innersten Dämonen zu stellen und all den Schmerz nach außen zu tragen, der die Familie seit Jahren auffrisst. Doch der mysteriöse Raum fordert immer weitere Opfer und letztendlich tritt auch Melinda in die absolute Schwärze, die hinter der unheimlichen Tür lauert…
Kritik
Die Kommerzialisierung der heutigen Filmlandschaft trägt einen großen Teil zum immer wieder erkennbaren fehlen jedweder Existenzberechtigung vieler Filme bei – auch im Horrorgenre. Dieses hat allerdings noch eine ganz andere Last auf seinen Schultern zu tragen, denn mit ständigen Wiederkauversuchen alter Schemen und Motiven gelingt es vielen Regisseuren einfach nicht mehr, einen eigenen Fuß zu fassen. Ganz anders geht da ein gewisser Giles Daoust aus Belgien vor. Mit Stanley Kubrick’s "Shining" als Vorbild vor Augen und einem Beinahe-Alleingang als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent schuf der Mann mit verhältnissmäßig wenig Geldmitteln einen bedeutsamen Film mit dem Titel "The Room", der uns beweist, dass es doch noch Eigenständigkeit und künstlerische Ambitionen in einem Genre gibt, dem ansonsten meist nur der Blick auf das schnelle Geld nachgesagt wird.
Was der junge Filmemacher hier geschaffen hat, ist schwer in Worte zu fassen und noch unmöglicher zu deuten. Ein jeder wird "The Room" individuell erleben, die wenigsten werden zu der grenzüberschreitenden Ebene, auf der der Film spielt, durchdringen können. Derlei Experimente sind für Giles Daoust jedoch nichts Neues – bereits im Jahr 2004 wagte er mit "Last Night on Earth" den riskanten Versuch, einen Film in nur einem einzigen Tag zu drehen. Die Kritiker hielten jedoch nicht viel von derlei Ambitionen und auch "The Room" hat es bislang unverdient schwer. Kein Wunder, denn Filme wie dieser sind nicht für die breite Masse gemacht und erst recht nicht als gehaltlose Unterhaltung für zwischendurch geeignet. Im Worst Case Scenario – zusammen mit einigen Kollegen und einer Kiste Bier, ist "The Room" etwa so geeignet wie Y.M.C.A. auf einer Beerdigung.
Eine Teilschuld trägt sicherlich die leicht missverständlich zu deutende Vermarktung des Films, die auf einen typischen Horrorfilm schließen lässt. Zwar spielt "The Room" gerne mit Angst und Schrecken, doch lässt er sich nicht unbedingt in die Breitengrade eines gängigen Horrorfilms unterwerfen, vielmehr haben wir hier ein psychologisches Familiendrama, das aber zu jedem Zeitpunkt Giles Daoust’s Vorliebe für den phantastischen Film erkennbar werden lässt. Im Vordergrund stehen hier Story und Wiedererkennungswert und vor allem letzterer ist enorm. "The Room" gleicht einem großen Gesamtkunstwerk, in dem alles seinen berechtigten Platz hat und nichts dem Zufall überlassen wurde. Die Inszenierung des verstörenden Dramas ist dabei absolut fantastisch gelungen. Dies wird schon in den ersten Minuten verdeutlicht, in dem alle Familienmitglieder bei ihren üblichen Tätigkeiten in einer einzigen (!) Kamerafahrt durch das Haus vorgestellt werden.
Den Dialog sucht man anfänglich noch vergebens, nicht das Wort, sondern der zwischenmenschliche Ton halten hier das Zepter. Statt Kommunikation begegnen sich die Familienmitglieder mit Gewalt und Aggression. Melinda ist diesen Zustand leid und möchte ihr Kind in bessere Verhältnisse auf die Welt bringen, doch ihr anstehender Auszug beschwört letztendlich den absoluten Untergang der kaputten Familie hervor. Giles Daoust fängt seine Bilder in einer trostlosen, regelrecht deprimierenden Atmosphäre ein, die auch beim Betrachter schnell ein tiefes Gefühl des Unwohlseins hervorrufen. Regelrecht brilliant ist dabei die Arbeit des Kamerateams, das immer wieder mit den erstaunlichsten Blickwinkeln, Kamerafahrten und unkonventionellen Einfällen zu begeistern weiß. Auch die musikalische Untermalung von Airlock ist unerwartet fabelhaft ausgefallen, die mal leisen, mal hektisch-nervenaufreibenden Klänge passen sich immer bestens dem Geschehen an.
"The Room" ist nichts für Schubladendenker, die sich nicht auf Neues einlassen können oder wollen. Der Film wird dem Zuschauer einiges abverlangen und gekonnt alle Erwartungen zertreten, nur um dann etwas vollkommen Unerwartetes entstehen zu lassen. Auch die Genre-Zuweisung fällt hier mehr als schwer, denn Zuschauer mit schwachen Nerven werden schon alleine beim Anblick des dunklen Korridors, an dessen Ende die unheimliche Tür liegt, eine Gänsehaut bekommen. Mit welch einfachen Mitteln Angst und Paranoia entstehen können, zeigt uns Giles Daoust ebenfalls, denn die markerschütternden Schreie, mit denen die Personen hinter der Tür verschwinden, wird wohl so schnell keiner mehr vergessen. Dennoch ist es unmöglich, hier von einem gängigen Horrorfilm zu sprechen, der Horror spielt sich in der gezeigten Familie und in den Köpfen eines jeden einzelnen Charakters ab. An dieser Stelle zu viel zu verraten wäre fatal, doch der finale Twist von "The Room", nachdem Melinda selbst den Raum betritt, stellt optisch und inhaltlich so manchen Pseudo-Schocker in den Schatten und wird gewaltig an der Psyche des Zuschauers kratzen.
"The Room" ist ein surreales Kammerspiel, in dem eine zerstörte Familie anhand einer übernatürlichen Bedrohung langsam dem Wahnsinn verfällt. Abgründe tun sich auf und in Flashbacks werden immer mehr düstere Geheimnisse aus der kaputten Familie verdeutlicht. Das Geschehen ist dabei meist ruhig, nie actionreich, dank der meisterhaften Inszenierung aber zu keinem Zeitpunkt langweilig. Beliebig wechselt die Optik zu schwarzweiß, nur um dann mit wahrhaft wunderschönen Bildkompositionen aufzuwarten, in denen die Farbe rot immer einen besonderen Stellenwert hat. Unvergesslich ist beispielsweise die Szene, in der der gelähmte Alex seiner Schwester seine Liebe gesteht, während rings umher im Wohnzimmer Rosen aus dem Boden und dem Mobiliar sprießen und somit die einzige Farbe in dem ansonsten vorherrschenden, tristen grau darstellen.
Die opulente, optisch erstklassige und musikalisch stellenweise fast schon orchestral unterlegte Inszenierung läuft mit dem erschreckend düsteren Ton innerhalb der Familie Kopf an Kopf und steuert auf ein unausweichliches, alles zerstörendes Finale hinzu. Exzellent auch das Spiel der Darsteller, allen voran Philippe Résimont. Er bringt den boshaften, unberechenbaren und fiesen Charakter des Vaters Max, der sich nicht scheut, seiner Frau mit der Faust ins Gesicht zu schlagen, absolut richtig rüber und sorgt alleine schon durch seine Mimik für realen Schauer. An seiner Seite sehen wir zudem eine absolut fabelhafte Caroline Veyt als schwangere Tochter, die den Leading Part souverän ausfüllt. Der tatsächlich am Down Syndrom leidende Schauspieler Pascal Duquenne erfüllt die Rolle des gelähmten Sohnes schlussendlich genau so glaubhaft, es gibt keine einzige Fehlbesetzung im Cast.
Giles Daoust’s "The Room" ist in seiner Gesamtheit nur schwer zu fassen. Leider wird der Film ein Großteil seines Publikums eher abschrecken, als begeistern und ist sicherlich nicht für jedermann zugänglich. Wer auf der Suche nach Horror ist, wird ihn hier wohl nicht in der erwünschten Form vorfinden. Bei näherer Betrachtung ist "The Room" aber ein durch und durch faszinierendes, tiefgreifendes und anspruchsvolles Psychodrama, das den Schrecken von Minute zu Minute greifbarer macht und beweist, dass man auch mit leisen Tönen und wenig Budget eine unheimlich wirkungsvolle und durchdringende Atmosphäre schaffen kann. Die Inszenierung ist kunstvoll, die Kamera – und Score-Arbeit ohne jede Übertreibung meisterhaft. "The Room" ist Pflichtprogramm für ein aufgeschlossenes Publikum, das hier die Abgründe der menschlichen Seele in all ihrer Hässlichkeit vorfinden wird.
Ähnlicher Film:
The Shining
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